Brief an meine liebe Gefährtin und einzigartige vierbeinige Co-Therapeutin Raskia,
heute möchte ich dir von Herzen Danke sagen.
Seit Jahren begleitest du mich in der Reittherapie, bist eine zuverlässige Freundin und weise Partnerin in der Begegnung mit den Menschen, die zu uns an den Stall kommen und unsere Hilfe brauchen.
Dein Verhalten, dein Einfühlungsvermögen ist so authentisch und so präzise, dass ich oft in den Hintergrund treten kann und dich arbeiten lasse. Keine versteht es so wie du, den Menschen ein Spiegel zu sein. „Sei wie ein Spiegel. Ein Spiegel sucht nicht nach Dingen und er erschafft sie nicht, sondern heißt alles willkommen und reagiert auf alles, was vor ihm erscheint.“ So beschreibt es der chinesische Weise Chuang Tzu und besser kann ich deine Art der Begegnung nicht beschreiben.
Ich erinnere mich an deine Begegnung mit der kleinen Lisa vor einigen Tagen: sie ist erst 5 Jahre alt, sitzt im Rollstuhl und wird rund um die Uhr beatmet. Du betrittst die Stallgasse, langsam, gemächlich, voller Selbstbewusstsein beobachtest du die Situation und die Stimmungen, die die Familie mitgebracht hat: der Vater hat die Mittagspause genutzt, um dabei sein zu können, er ist angespannt. Die Mutter scheint fröhlich und ein wenig aufgekratzt, sie war schon einige Male bei uns und freut sich offensichtlich darauf, ihrem Mann zu zeigen, was wir hier so machen. Die kleine Lisa ist wach, gut gelaunt. Ich stehe neben dir und vertraue darauf, dass du die richtige Form der Begrüßung und Begegnung wählen wirst. Ich lasse dir Zeit, beobachte deine Atmung und deine Blickrichtung. Der Vater nimmt Lisa auf den Schoß. Wen wirst du wohl zuerst begrüßen?
Es ist ganz still und ich lasse den Strick durchhängen, gebe dir Raum und Zeit, zu spüren, was diese Familie braucht. Langsam näherst du dich dem Vater, der das Kind auf dem Schoß hat. Du hältst Abstand und wartest. Es fällt mir gar nicht leicht, zu warten, aber ich vertraue dir. Langsam näherst du dich den beiden, deine weiche Schnauze geht in Richtung des Vaters. Ich bin gespannt… er versteht deinen Wunsch nach Kontaktaufnahme, hebt langsam die Hand und streichelt zärtlich deine Nase. Das Eis ist gebrochen! Ich spüre Wärme in mir und danke dir leise. Jetzt wendest du dich Lisa zu und auch sie spürt die Entspannung des Vaters. Freudig, gerührt beobachten wir, wie sie langsam ihre kleine Hand erhebt und dich zaghaft und doch innig berührt.
Ich lerne von dir: abzuwarten, Geduld zu haben, mein Herz zu öffnen, nicht zu urteilen und zu werten. du fühlst, was andere fühlen, reagierst darauf, lässt wieder los, und begegnest dem nächsten Moment mit der gleichen Offenheit. Du bist Empfänger und Verstärker von Gefühlsschwingungen, du hast die Fähigkeit, Menschen tief zu berühren, ihnen Mut zu machen, ihnen zu zeigen, wie einzigartig und großartig sie sind. Ich denke dabei auch gern an deine Begegnungen mit den Menschen mit körperlichen Einschränkungen, die mutig und dankbar ihren Rollstuhl verlassen, sich mit Hilfe des Lifters auf deinen Rücken setzen lassen, in dem tiefen Vertrauen und Wissen, dass du sie tragen wirst. Du verharrst, bis sie Platz nehmen, du strahlst Ruhe und Sicherheit aus, während du minutenlang wartest, bis sie den richtigen Sitz auf dir gefunden haben. Dann scheint ihr zu verschmelzen, und mit ruhigem Schritt bewegst du dich, trägst Groß und Klein, gibst das Gefühl des sicheren Getragen Werdens und das Gefühl, sich außerhalb des Rollstuhls fortbewegen zu können. Wir Reittherapeutinnen spüren und sehen die Freude und große Dankbarkeit deiner Reiterinnen und Reiter, sie kommen bei Wind und Wetter, um mit dir die Natur zu erleben, ihre Körper neu zu spüren, Freude zu erleben. Gesichter und Körper entspannen sich, manchmal reden wir, manchmal schweigen wir. Deine bedingungslose Liebe zu den Menschen, egal mit welchem Thema sie zu uns kommen, heilt verwundete Seelen und Körper. Täglich lernen wir von dir, beobachten dich und lassen dich zunehmend entscheiden, was dein Reiter braucht, denn wir haben erkannt, wie weise du bist.
Ich sage dir Danke für all die schönen Stunden, die wir mit dir verbringen dürfen, für deine Sicherheit, die du uns täglich gibst. Du bist immer bereit, neue Menschen kennenzulernen, ihnen mit Liebe zu begegnen, sie zu tragen. Du hast diese Fähigkeiten offensichtlich in die Pferdewiege gelegt bekommen. Deine Pferdekolleginnen und Kollegen können noch viel von dir lernen.
Deine Susanne